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Unterwegs oder wie ich mein Leben einholte

 

 

Das Leben wartet nicht. Es stapft in Siebenmeilenstiefeln über mein Zögern hinweg.

Es springt in die Pfütze, während ich noch überlege, ob ich mir die Schuhe nass machen will oder nicht.

Es geht voran und schaut nicht zurück, und wenn ich zu lange an der Weggabelung stehen bleibe um zu überlegen, wohin ich gehen will, verliere ich es aus den Augen.

Manchmal möchte ich ihm zurufen: Nicht so schnell, warte doch mal, ich komme nicht mehr mit!

Aber es schert sich nicht um meine Langsamkeit. Es pfeift das Lied des Fortschritts, während meine Haare grau und meine Beine müde werden. 

Manchmal, sehr selten, schenkt es mir eine Verschnaufpause. 

Dann sitzen wir kurz gemeinsam am Wegesrand und schauen den Wolken zu. Ich fühle mich dann immer etwas unbehaglich.

So nah beieinander, das Leben und ich. Fremd und ungewohnt.

 

Warum gehst du so schnell vorbei, frage ich heute.

Es ist das erste Mal, dass ich es direkt anrede und ihm ins Gesicht schaue. Es sieht genauso erschöpft aus wie ich, das macht mir ein bisschen Angst.

Warum erlaubst du uns nicht, alles etwas langsamer angehen zu lassen, frage ich. Warum der ganze Stress?

Das Leben kuckt mich erstaunt an und kratzt sich am Kopf.

Wie kommst du denn darauf, dass ich das Tempo bestimme, fragt es mich.

Ich kucke erstaunt zurück. Tust du nicht?

Nein, sagt es. Ich bin doch dein Leben. Ich gehöre dir seit über vierzig Jahren, und du kannst mit mir machen, was du willst.

Ich kann dir gar nicht davon laufen.

Aber - sage ich - du läufst doch immer vorweg, ich kann dich nie einholen!

Vielleicht, sagt mein Leben, liegt das daran, dass du mich immer woanders suchst? Du machst jede Menge Umwege und überlegst, was du mit mir anfangen willst. Könntest mich auch einfach an die Hand nehmen, dann rennen wir auch nicht mehr dauernd aneinander vorbei.

 

Das muss erstmal sacken, ich schaue betreten auf meine Schuhe. 

Ein kleines Schweigen macht sich zwischen uns breit, klemmt sich zwischen uns ein wie ein zerknautschtes Kissen. 

Aber - wende ich nach einer ziemlich langen Weile ein - man kann doch sein Leben nicht festhalten, oder? 

Nein, sagt es, festhalten geht nicht. Aber du könntest dich langsam mal mit mir anfreunden, ein anderes kriegst du nämlich nicht, wir müssen es miteinander aushalten. Es würde sich allerdings viel netter anfühlen, wenn du nicht dauernd nach etwas besserem Ausschau halten würdest. 

Ich bin schon da, und ich habe Proviant im Rucksack. Der reicht für uns beide, egal wie lange wir unterwegs sind.

 

Gut, sage ich wagemutig, und reiche meinem Leben die Hand.

Lass uns weitergehen, und erzähl mal was von dir.

Es grinst mich an und streicht sich eine graue Haarsträhne hinters Ohr. 

Ok. Sagt es. Aber ich nehme den Rucksack.

 


 

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