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Zu Besuch beim Butterbaum

Botanischer Garten, Samstag Nachmittag. Die Spezies Mensch hat einen evolutionären Sprung gemacht, zu erkennen an einer oftmals leicht vorgebeugten Körperhaltung, dabei mit den Fingern einen kleinen Bildschirm streichelnd, der an einer der Hände angewachsen zu sein scheint. 

An jedem Blumenbeet, in jedem Gewächshaus wird der explodierende Frühling eingefangen, gestaunt wird durch die Kameralinse am verlängerten Arm.  

Ich bin bestens angepasst und steuere, das Handy im Anschlag, meinen Liebling an: Cyphostemma, der Butterbaum. 

Er reckt die kahlen Äste der Sonne entgegen, die mit voller Photonenpower durch das hohe Glasdach scheint. Mit aller Kraft zwängen sich die ersten grünen Triebe aus dem blättrig-trockenen Holz. Sie sehen aus wie winzige, zerknautschte Kohlköpfe, die jemand etwas ungeschickt an die Ast-Stümpfe geklebt hat. In ein paar Wochen trägt der Jahrhunderte alte Baumgast aus Afrika einen dichten Schopf aus glänzenden, ledrig-grünen Blättern. 

Ich zoome hinauf zu den zarten Knospen und lege ein paar davon in meiner Fotosammlung ab.

Auf dem Rückweg schaue ich im Nebelwaldhaus vorbei, wo die mächtigen Farne gerade dabei sind, ihre neuen Triebe in die feuchte Luft zu entrollen. Klick, klick, sammelt mein verlängerter Arm ein paar der hellgrünen Schneckenkringel ein. 

Draußen im Staudenbeet protzt „Narcissus New Baby“ herum als gäbe es etwas zu gewinnen, und ich sehe alles doppelt, weil überall Handybildschirme vor die Naturwunder gehalten werden.

 

Bevor ich meine kleine Raumkapsel entere und nach Hause rolle, drehe ich noch eine Runde über den Campus.
Der Botanische Garten ist ja nicht nur zum Spaß da, sondern gehört zur Universität und ist Ort für Forschung, Ausbildung und Lehre. 

Ich war nie schlau genug, um ernsthaft in die Naturwissenschaften einzusteigen und habe mich trotzdem irgendwann verliebt.

Vor allen Dingen in die Astronomie und die Raumfahrt. Als vor vielen Jahren einmal eine Raumfähre mit einem neuen Marsrover ins All geschossen wurde, waren der Mann und ich im Audimax bei der Live-Übertragung dabei: Wissenschaftler*innen der Uni Kiel hatten technische Bauteile für diesen Rover entwickelt und waren verständlicherweise stolz wie Bolle, dass ihr Baby fortan auf dem roten Planeten herum rollen würde.

Wir verstanden nichts, aber es war großartig.

 

Inzwischen finde ich, dass es auf unserem Planeten eigentlich schon genug zum Lernen und Staunen gibt und habe die Füße am liebsten auf unserer schönen Erde.

Und doch zieht es mich immer wieder auf den Campus:

Überall steckt Wissen drin und die Möglichkeit, etwas über unsere Welt zu lernen. Die Bibliothek birgt tausende Bände, vollgestopft mit Geschichten von Entdeckungen, Erfindungen, Fortschritten und Rückschlägen. 

Wissen schaffen - das ist etwas, was ich wirklich bewundere.

Weil es so oft bedeutet, dass man als forschender Mensch sein ganzes Leben einer Sache widmet, deren Ergebnis man nicht mehr selbst erleben wird. Man muss daran glauben und darauf vertrauen, dass zukünftige Generationen weiter machen und irgendwann, vielleicht, Antworten finden werden.

 

Es wird langsam kühler und ich streife um die Hörsaalgebäude herum, die wie schräge weiße Kisten in die struppige Natur hinein ecken. Mit ihren großen Fensterflächen werfen sie die letzten Sonnenstrahlen des Nachmittags zurück in die Landschaft.

Auf einem der Dächer sehe ich die runde Kuppel der Sternwarte sitzen, und für einen Millisekundenbruchteil spannt sich ein dünnes, leuchtendes Band zwischen mir und dem Urknall.

 

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