Farbfunken aus der Vergangenheit

Null Grad, der Himmel blitzblau, die Ostsee ganz brav und still.

Wir haben die Eisschicht vom kleinen Auto gemeißelt und sind ans Meer gefahren, reihen uns ein in den Sonntags-Vormittags-Pilgerstrom an der Wasserkante, dick verpackt und ohne Sonnenbrillen. Das Licht ist so hell dass es weh tut, wir sind geblendet und stolpern über Stock und Stein.

Trotzdem herrlich. Am Horizont eine Handvoll Containerfrachter und ein paar einsame Segelschiffe. Anfängerwetter, der Wind liegt heute auf der faulen Haut.

 

Wieder zu Hause tauen langsam die klammen Finger auf, und ich setze mich an den Zeichentisch.

Der Aquarellkasten liegt bereit, die Pinsel auch, aber irgend etwas bremst mich heute und hält mich davon ab, wie sonst einfach drauflos zu malen.

Vielleicht ist es das Datum. Dieser Tag im Januar, an dem manchmal Erinnern und Vermissen unerwartet laut werden und den gewohnten Alltag kurz anhalten.

Heute hätte mein Papa Geburtstag. Inzwischen zieht dieser Tag meist recht unspektakulär und mit viel versöhnter Erinnerung an mir vorüber. Der Schrecken seiner schweren Krankheit und die Zeit danach, das Trauern, das Hadern und das Verarbeiten: Vergangenheit.

Längst hat sich außerdem so viel Leben und Zeit übereinander gestapelt, dass ich manchmal ganz erschrocken darüber bin.

Alles fliegt vorbei, wird blass und verschwindet in der Erinnerung, die ja nun auch nicht mehr das ist, was sie mal war. 

Heute beglückwünsche ich mich dazu, dass ich trotz meines berühmt-berüchtigten Talents zum Ausmisten doch manchmal ein paar Dinge aufhebe und nicht immer alles umgehend entsorge.

Ich gehe also in den Keller und hole die Mappe mit den Aquarellbildern hervor, die mein Vater gemalt hat.

Viel zu lange hat er sich für absolut unbegabt gehalten, wenn es um künstlerisches Arbeiten ging - ausgenommen die Musik.

In seiner Kindheit und Jugend gab es kaum tauglichen Kunstunterricht an der Schule, und später ließ das Leben keinen Raum für so etwas wie Malen oder Zeichnen. Gleichzeitig, so erzählte er mir, war da immer eine Sehnsucht.

Aber es kam, wie wir es ja alle selbst so gut kennen - immer wieder vermeintlich "Wichtigeres" dazwischen.

Erst als er krank wurde und nicht mehr arbeiten konnte, zogen die Farben bei ihm ein und ließen ihn nicht wieder los.

 

 

 

In der Kunsttherapie sprang der Funke über, und in der kurzen Zeit, die ihm noch geschenkt wurde, hat er ganze Berge von Bildern fabriziert. Familie und Freunde haben Bauklötze gestaunt:

Egal wie schwach die Hände wurden, einen Pinsel halten ging noch.

Ein Aquarellblock nach dem anderen füllte sich - es war wie ein Wettlauf, wie ein Aufholen und Nachholen im Eiltempo.

 

Nachdem er die Grundlagen erlernt hatte, hat er sich wie im Zeitraffer frei gemalt.

Anfangs waren es regelmäßige Farbfelder, mit geraden Linien geordnet, über die nicht hinaus gemalt wurde.

Später traten die Linien in den Hintergrund, die Farben wurden bunter, die Flächen begannen zu tanzen.

Dann hat er irgendwann losgelassen, und alles begann zu fließen.

Sollte ich heute die Bilder aus dieser Zeit beschreiben, ich würde Worte wählen wie Leichtigkeit, Spieltrieb, pure Freude. 

Manche der Formen und Farbspiele erinnern mich sogar an meine eigenen bunten Zeichnungen.

 

Am meisten über all das gestaunt hat er damals übrigens selbst.

 

Und heute sitze ich hier, schaue mir die bunte Farbenpracht an und hab dabei das Vermissen auf der Schulter sitzen.

Ich kraule es freundlich und schnappe mir dann Skizzenbuch, Pinsel und Farben.

Weiter geht's.

 

 

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